„Wir sind heute bewusst in die Synagoge gekommen, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen gegen jede Form von Antisemitismus.“ Das hat der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, am Sonntag, 4. Juli, in Münster aus Anlass der Großen Prozession betont. Wegen der Corona-Pandemie feierte er, statt mit der althergebrachten Prozession durch Münsters Innenstadt zu ziehen, einen feierlichen Gottesdienst im Dom. Unmittelbar zuvor fand eine Statio in der Synagoge statt. Dort begrüßte Sharon Fehr, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Münster, neben Bischof Genn und dem Domkapitel auch Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe.

Sharon Fehr ging in einer kurzen Ansprache auf die antisemitische Attacke vom 11. Mai dieses Jahres vor der Synagoge in Münster ein. Dabei hatten junge Männer antijüdische Verwünschungen skandiert und eine israelische Flagge in Brand gesetzt. Diese Attacke sowie die vielen antisemitischen Angriffe in Sozialen Netzwerken und auf Demonstrationen erschütterten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde. „Resignation aber war und ist in unserer langen jüdischen Geschichte nie eine wirkliche Option gewesen“, betonte Sharon Fehr. Er dankte dem Bischof, dem Domkapitel und dem Oberbürgermeister für den Besuch, den er als Signal an die Jüdische Gemeinde verstehe, sich nicht entmutigen oder einschüchtern zu lassen. „Wir wertschätzen ihren Besuch als eine Botschaft, dass wir uns gemeinsam Seite an Seite einsetzen gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und gegen jedwede Form menschenverachtendes Verhalten sowie für ein friedliches interkulturelles Miteinander.“

Diesen Gedanken unterstrich auch Oberbürgermeister Markus Lewe. Er sagte, dass es ein Glück sei, dass es in Münster ein lebendiges jüdisches Leben gebe. Es sei wichtig, immer wieder Zeichen zu setzen für Vielfalt und gegen Hass und Gewalt. „Das Schönste wäre, wenn es nicht mehr notwendig wäre, dass ein Polizeiwagen vor der Synagoge stünde“, sagte Lewe. Musikalisch gestaltet wurde die Feier in der Synagoge vom Vokalensemble des Kammerchors St. Lamberti unter Leitung von Alexander Toepper.

Auch in seiner Predigt im Dom griff Bischof Genn das Thema Antisemitismus auf. Er kritisierte scharf, dass „unsere Glaubensbrüder und -schwestern“ in Deutschland immer noch viel Verachtung erlebten. Umso wichtiger sei es ihm, ein deutliches Zeichen zu setzen, dass eine solche Feindschaft „mit uns nicht zu machen ist, dass wir uns mit allen Kräften dagegen wehren.“

Der Bischof ging auch auf den Wert und die Bedeutung menschlichen Lebens ein. Er sprach von einem „katastrophalen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes“ vom Februar 2020, durch das die Frage des Lebensschutzes am Lebensende, im Alter und bei Krankheit wieder offen sei. „Geben wir als Christen Zeugnis von der Kraft des Lebens und vom göttlichen Gebot, dies nicht zu beenden“, wandte sich der Bischof an die Gläubigen. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das EU-Parlament vor kurzem mehrheitlich für ein Grundrecht auf Abtreibung gestimmt habe. „Dem möchte ich energisch widersprechen“, sagte Bischof Genn und fuhr fort: „Es kann niemals ein Recht geben, das menschliche Leben eines anderen zu beenden.“ Christen seien nun umso mehr herausgefordert, den Frauen und Männern beizustehen, die in diesen schwierigen Fragen arbeiteten, also Ärzten, dem Pflegepersonal und Menschen in sozialen Diensten, und vor allen Dingen den Frauen, die vor „oft grausamen Alternativen“ stünden. „Wir müssen an der Seite des Lebens und an der Seite dieser Frauen stehen“, forderte der Bischof und dankte allen, die für das Lebensrecht am Anfang und am Ende des Lebens einstünden. Bischof Genn: „Wir sind aufgerufen, uns mit allen Kräften dagegen zu wehren, wo das Leben bedroht ist, in der Pandemie genauso wie an diesen Eckpunkten unseres Lebens.“

 

Dank an alle, die sich in der Pandemie eingesetzt haben

Im Blick auf die Corona-Pandemie dankte der Bischof allen, die im Gesundheitswesen arbeiten, aber auch den Erzieherinnen in den Kindertageseinrichtungen, den Lehrerinnen und Lehrern „und all den vielen Menschen an den Kassen, in der Müllentsorgung oder in der Stadtverwaltung und überall dort, wo unabdingbar für unsere Gesellschaft gearbeitet wurde und wird.“ Einen besonderen Dank richtete der Bischof an die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und das, wie er betonte, nicht nur als Bischof, „sondern auch als Mitglied der älteren Generation“. Kinder und Jugendliche hätten zum Wohl anderer lange auf viele Freiheiten verzichtet und Einschränkungen hingenommen. Außerdem seien sie bei der Vergabe der Impfstoffe hinten angestellt worden. Die junge und jüngste Generation habe viele Opfer auf sich genommen hat und werde noch lange daran tragen. 

Bei allem Dank, so sagte der Bischof, gebe es aber nach wie vor viel Unsicherheit und viele Fragen, bis hin zur Gottesfrage. „Es bleibt die große Zahl der Toten, es bleibt die große Zahl der immer noch Infizierten, es bleibt der Blick auf das Elend, gerade in Ländern, die nicht mit solchen Möglichkeiten, wie wir sie haben, ausgestattet sind“, sagte Bischof Genn. Von daher müsse gefragt werden, ob die Menschheit etwas aus der Pandemie gelernt habe. So stellten sich etwa die Fragen: „Lässt uns diese Pandemie nicht bescheidener werden? Und werden wir dann daraus wirklich etwas lernen, so dass sich unser Leben ändert, wie es so oft während der Pandemie geheißen hat, dass nach der Pandemie alles nicht mehr so sein werde wie vorher?“ Durch die Pandemie sei das Ungleichgewicht in der Welt noch einmal massiv offenbar geworden, „die Schere zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd, und die Herausforderung, ob wir uns wirklich damit abfinden wollen.“ 

Beim Gottesdienst im Dom konzelebrierte mit Bischof Genn unter anderem Pfarrer Frankline Anyanwu von der afrikanischen Gemeinde. Diese gestaltete den Gottesdienst in diesem Jahr mit. Für die musikalische Gestaltung im Gottesdienst sorgten der Jugendchor der Dommusik, die Solisten Cristian Ramirez und Nils Miegel, Magdalena Lapaj, Saxophon, Sascha Oeing, E-Bass, Alexander Toepper, Piano und die Percussionsgruppe ZABUMBA. Die musikalische Leitung lag bei Alexander Lauer und Verena Schürmann.

Der Brauch der Großen Prozession reicht zurück bis ins Jahr 1382 und lässt sich ebenfalls auf eine Pandemie zurückführen: Damals starben in Münster mehr als 8.000 Menschen an der Pest. Im Jahr darauf verwüstete ein Großbrand weite Stadtgebiete. Seitdem ziehen aufgrund eines damaligen Gelöbnisses jedes Jahr Gläubige mit dem Allerheiligsten zu einer überpfarrlichen Buß- und Bittprozession durch die Altstadt. Aufgrund dieses Ursprungs wird eine Nachbildung des historischen Pestkreuzes, dessen Original im Stephanschor des Doms hängt, üblicherweise der Prozession vorausgetragen.

 

logo bistum muensterText: Dr. Stephan Kronenburg/Fotos: Achim Pohl