Spur führt ins Amtsgericht
Neue Erkenntnisse zur Familie Pins.
Die Konzipierung eines archäologischen Bodenfensters „Keller Pins“ in der Dülmener Innenstadt will mehr bewirken als die bloße Bewahrung einiger spärlicher Mauerstümpfe. Vielmehr soll die kleine Landmarke unweit der Viktorkirche anregen, sich auf vielfältige Weise mit der Geschichte und der Tragödie einer alteingesessenen Dülmener Familie auseinander zu setzen. Dabei zeigt sich, dass auch im Abstand von mehr als 80 Jahren immer neue Spuren sichtbar werden. So war erst vor einem Jahr im Staatsarchiv Hamburg eine Ermittlungsakte der dortigen Zollfahndungsstelle entdeckt worden, in der sich auch Vernehmungsprotokolle von Verhören des im Juni 1939 verhafteten Louis Pins befinden. Diese Protokolle wiederum geben einen beklemmenden Einblick in die rechtlich wie finanziell verfahrene Situation einer zur Auswanderung drängenden Familie – wie es Louis, Jenny und Johanna Pins damals waren. So waren jüdische Familien nicht nur gezwungen, alle möglichen horrenden Abgaben (wie „Reichsfluchtsteuer“ oder „Judenabgaben“ oder „Sühnegeld“) zu entrichten; auch fest angelegtes Vermögen war plötzlich nur weit unter Wert zu veräußern – wenn überhaupt. Dazu zählten auch Hypothekenbriefe, deren zwei die Zollfahnder bei Louis Pins beschlagnahmten, darunter eine Grundschuld auf ein Grundstück bzw. eine Immobilie in der Innenstadt von Neustadt am Rübenberge.
Dieses bis heute beschauliche Landstädtchen nordwestlich von Hannover und östlich vom Steinhuder Meer war die Heimat von Jenny Rosenstein, der zweiten Frau von Louis Pins. Die beiden hatten 1925 in Neustadt geheiratet. Nach dem Tod des Schwiegervaters von Louis Pins, Jakob Rosenstein, war die in dessen Eigentum befindliche Parzelle Marktstraße Nr. 13 zunächst (1927) an Jenny und ihre Geschwister (und deren Gatten) als Erbengemeinschaft übergegangen. In diesem Zusammenhang tauchen mehrfach auch die persönlichen Unterschriften von Louis und Jenny in den Dokumenten auf. 1936 entschloss man sich, das mit dem historischen „Posthof“ samt romantischem Hinterhof überbaute Grundstück an den Neustädter Kaufmann Otto Thoms zu veräußern. Da dieser nicht die gesamte Kaufsumme aufbrachte, ließen sich die Rosenstein-Erben als Gläubiger bzw. Hypothekeneigner ins betreffende Grundbuch beim Amtsgericht Neustadt eintragen. Auch Jenny und Louis Pins beurkundeten bzw. bestätigten diesen Vorgang (bzw. die eigene Hypothek in Höhe von 6.000,- €) am 6. August 1936 mit ihrer Unterschrift.
Dass ein Grundbuch neben den Hypothekeneinträgen auch die Namen von Gläubigern preisgibt, ist eher ungewöhnlich; entsprechend schwierig ist in der Regel der Zugang zu einschlägigen Grundbuchakten, die über die betreffenden Vorgänge im einzelnen und namentlich Aufschluss geben könnten – sofern diese Akten überhaupt den Zweiten Weltkrieg überstanden haben. Doch manchmal lauert das Finderglück: „Seit Eingang Ihrer Anfrage befasse ich mich mit den Familien Pins/Rosenstein und ich glaube durch einen Zufall etwas gefunden zu haben“, teilte Stefan Dittmer, Mitarbeiter beim Grundbuchamt Neustadt, in einer Mail vom 11. Oktober 2021 mit. Er ist selbst verblüfft, dass er den untypischen Eintrag „Pins“ im eigentlichen Grundbuch vorfand: „So was kommt eigentlich nicht vor“, meint Dittmer. Jedenfalls war somit die betreffende Parzelle in Neustadt – Marktstraße 13 – identifizierbar als Bezugsgröße jenes Hypothekenbriefs, den die Hamburger Zollfahnder drei Jahre später in der Dülmener Wohnung von Louis und Jenny Pins beschlagnahmten. Und auch die richtige Grundbuchakte war nun gezielt auffindbar. Die zur Neustädter Markstraße Nr. 13 gehörende Grundbuchakte dokumentiert die zahlreichen Vererbungen, Übertragungen, Verkäufe und Belastungen in den Jahrzehnten nach 1900.
„Diese Vorgänge sind alles andere als nur bürokratische Einträge“, wusste Sandra Klingemann, ebenfalls Mitarbeiterin beim Grundbuchsamt, gegenüber Dülmener Geschichtsinteressierten zu berichten, die am 16. November nach Neustadt gekommen waren. Erst jüngst musste Klingemann die Eigentumsverhältnisse eines ursprünglich in jüdischem Besitz befindlichen und nach dem Krieg „verwaisten“ Grundstücks klären. Ein heutiger Nutzer möchte es als Eigentum erwerben bzw. dokumentieren lassen; das Amtsgericht muss dann nach eventuellen Eigentumsansprüchen forschen. „Natürlich erreicht unser behördliches Aufgebot im Schaukasten keine Nachfahren oder Verwandte in Montevideo oder New York“, meint Sandra Klingemann etwas resigniert. „In gewisser Weise wird so durch unsere Behörde jüdischer Grundbesitz ein zweites Mal enteignet.“ Und sie ergänzt: „Wenn man sich näher mit diesen Angelegenheiten befasst, kann man schon mal richtig aufgewühlt sein.“