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Archiv 2023

In einer Mail hat sich Prof. Dr. Hans Davidson beeindruckt von seinem zweitägigen Aufenthalt in Dülmen (18./19.4.) gezeigt:


Thanks so much for the time you spent with us showing us around and sharing information about your town that literally rose back form the ashes. I had not imagined the destruction that was inflicted upon Duelmen. I was equally impressed by the dedication of you and the educators in telling about the past to young people. Children are the future and by relating the past it is hoped that they will not repeat the mistakes made. I have contacted the Stolpersteine organization in Zwolle to see if there is interest in sharing information and I will also see if the Gymnasium whose students have a large manifestation to honor the victimized Jews each beginning of October to see if there is the chance of some form of cooperation with the Hermann Leeser Schule. I attach some pictures of the cemetery in Zwolle, including the "menora tree", a composite tree with 7 trunks, the same symbolism as the 12 apostle trees.

In gratitude, Hans Davidson


(Vielen Dank für die Zeit, die Sie mit uns verbracht haben, um uns herumzuführen und Informationen über Ihre Stadt zu teilen, die buchstäblich aus der Asche auferstanden ist. Ich hatte mir die Zerstörung, die Dülmen zugefügt wurde, nicht vorgestellt. Ebenso beeindruckt war ich von dem Engagement von Ihnen und den Pädagogen, jungen Menschen von der Vergangenheit zu erzählen. Kinder sind die Zukunft und durch das Erzählen der Vergangenheit hofft man, dass sie die begangenen Fehler nicht wiederholen. Ich habe die Stolpersteine-Organisation in Zwolle kontaktiert, um zu sehen, ob Interesse an einem Informationsaustausch besteht, und ich werde auch sehen, ob das Gymnasium, dessen Schüler Anfang Oktober eine große Kundgebung zu Ehren der schikanierten Juden veranstalten, um zu sehen, ob es die Möglichkeit einer Form gibt der Kooperation mit der Hermann-Leeser-Schule. Ich füge einige Bilder des Friedhofs in Zwolle bei, darunter den "Menora-Baum", einen zusammengesetzten Baum mit 7 Stämmen, die gleiche Symbolik wie die 12 Apostelbäume.

In Dankbarkeit, Hans Davidson)

"From a question to two days of remembrance teaching and learning! Danke vielmals, Hans D."

So lautet die Widmung in einem Buch, welches Hans Davidson als Geschenk mitbrachte. "Aus einer Frage wurden zwei Tage voller Erinnerungslehren und -lernen. Danke vielmals"

Der Kontakt zu Prof. Dr. Hans Davidson ist Ende Februar durch eine Bildnutzungsanfrage entstanden. Bereits wenige Wochen später durften wir ihn und seine Frau hier in Dülmen begrüßen.

Hans Davidson ist der Sohn von Adolf, genannt Dolf, der mit seinen Eltern Isidor und Bertha und den Geschwistern Walter, Hermann und Martha, genannt Johanna, an der Lüdinghauser Straße 15 wohnte. Als das Leben für die Familie in Dülmen unerträglich und lebensbedrohlich wurde, zogen die Davidsons im November 1937 (Johanna und Hermann bereits 1933) nach Zwolle, die Heimatstadt von Familienvater Isidor. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht 1940 konnten die Geschwister Adolf und Martha untertauchen. Mutter Berta, ihre Söhne Hermann und Walter wurden in Westerbork interniert und von dort deportiert. Bertha wurde in Sobibor und Hermann und Walter in Auschwitz ermordet. 

Hans Davidson war als Kind das letzte Mal in Dülmen und nutzte nun die beiden Tage, um sich auf Spurensuche seiner Familie zu begeben und auch um selbst Auskunft zu geben.

So begegneten sie am Dienstag einer Gruppe Schülerinnen und Schüler der Hermann-Leeser-Schule >>>. Gemeinsam mit den Jugendlichen ging es durch die Stadt zur Lüdinghauser Straße, wo der Stolperstein für Isidor >>>, dem Großvater von Hans, ausgetauscht wurde.

Im Anschluss suchte die Gruppe die Stolpersteine der Familie Salomon, der Herkunftsfamilie der Großmutter Bertha, auf. Weitere Haltepunkte waren das Judenhaus, der Innenhof, wo einst die Syngagoe stand, und der Gedenkort "Keller Pins".

Im einsA wurden die beiden Gäste von Bürgermeister Carsten Hövekamp begrüßt. Das Programm an diesm Tag endete mit dem Vortrag >>> mit Prof. Dr. Hans Davidson über die Familiengeschichte.

Am nächsten Tag wurden die beiden jüdischen Friedhöfe in Dülmen aufgesucht. Auf dem Friedhof an der Anne-Frank-Straße befindet sich das Grab von Sophie und Abraham Salomon, den Urgroßeltern von Hans Davidson.

Nach einer Kaffeepause bei Schuldirektor Robert Schneider, wurden noch einige interessante Akten im Stadtarchiv gesichtet. Damit endete der Besuch von Hans und Kathi Davidson. Alle Beteiligten sind sich einig, dass das eindrucksvolle Begegnungen in den beiden Tagen waren. 

 

 

“It is so cold here…”

… das waren die letzten Worte von Isidor Davidson, Großvater von Prof. Dr. Hans Davidson. Isidor starb 1939 bei einem Motoradunfall in Zwolle (die DZ berichtete) und ist der Einzige der Familie, der dort auf dem jüdischen Friedhof beerdigt ist. „Die anderen Davidsons starben in Auschwitz,Sobibor, in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Dass ich heute Abend hier sein kann is a miracel, ein Wunder.“ Im vollbesetzten Saal des einsA zieht der emeritierte Medizinprofessor und profunde Holocaust-Experte Hans Davidson seine Zuhörer in den Bann. Eindrucksvoll kombiniert er private Fotos mit historischen Bildquellen und stellt den Zuhörern vor dem geschichtlichen Hintergrund der 20er bis 40er Jahre des 20 Jahrhunderts einzelne Familienmitglieder und deren Schicksal vor. Etwa Bahrend, der im Widerstand war, denunziert, verhaftet  und nach einem Scheinprozess in Berlin hingerichtet wird. In Auschwitz kommen seine Onkel Hermann und Walter ums Leben; Deportation, Selektion, Typhus, Vernichtung durch Arbeit, Ermordung durch Zyklon B – , auch die sechsjährige Femmystirbt hier. „Ich erzähle es, um zu verdeutlichen, dass nicht, wie oft gesagt wird, sechs Millionen Juden von den Nazis ermordet wurden, sondern weil sechs Millionen Mal ein einziger Jude ermordet wurde“, so Davidson. Und das Wunder? 

Ende September 1942: Mit 80 Zwollener Juden werden seine Eltern Zus und Dolf eingepfercht in die Sporthalle des Gymnasiums Celeanum. Sie sollen über Westerbork deportiert werden, „um im Osten in Industrie und Landwirtschaft zu arbeiten“, wie die Nazis ihnen Glauben machen. Die Zustände in der Halle sind schrecklich, Frauen und Kinder schlafen am Boden, es gibt nicht genügend sanitäre Einrichtungen, keine Verpflegung. Vater Dolf, gerade am Meniskus operiert, humpelt die Treppe hoch und wird von einem deutschen Soldaten gefragt, warum er hinkt. In perfektem Deutsch berichtet Dolf von seiner Operation, der Soldat hatte vor kurzem die gleiche. Da auch der Soldat an die Arbeitslager-Lüge glaubt, sagt er, Dolf könne nicht arbeiten, er brauche Physiotherapie und fordert ihn auf, schnell wegzugehen, bevor seine Vorgesetzen kämen. Ohne seine Frau wolle er nicht fort, sagt Dolf, und der Soldat entlässt sie beide gemeinsam. Im Versteck, das sich Wand an Wand mit der NSB-Zentrale (niederländische NSDAP) befindet, überleben die Eltern den Krieg.

Ein ebenso emotional-persönlicher wie historisch fundierter Vortrag, der die fast 70 Anwesenden, darunter etwa 20 Jugendliche, zutiefst beeindruckt hat, wie auch die Anschluss-Diskussion zeigte. „Meine Präsenz hier und die Art und Weise wie wir den Tag verbrachten und ich Ihnen und den Schülerinnen und Schülern meine Geschichte vermitteln durfte, war ein Geschenk für mich“, bedankt sich Professor Davidson.

Die mitgebrachten Fotos und Dokumente ergänzen das Wissen um das jüdische Leben in Dülmen. Seine Gespräche mit Jung und Alt sowie der eindrucksvolle Vortrag werden in Erinnerung bleiben.

Bericht: Dr. Andrea Peine

Bei einer Begegnung zwischen Schülerinnen und Schülern der Hermann-Leeser-Schule und den  Eheleuten Davidson, die für zwei Tage aus Zwolle zu Besuch nach Dülmen gekommen waren, stellte Pfarrer Markus Trautmann eine Betrachtung >>> zu einem Zitat aus dem Werk des Mystikers Thomas von Kempen an: „Eitel ist es, sich ein langes Leben zu wünschen und sich um ein gutes Leben kaum zu bemühen.“ Thomas von Kempen war im Spätmittelalter Mönch in Zwolle. 

Jonathan
 

Erinnerung an Isidor Davidson. 

Der Künstler Gunter Demnig war nicht gekommen. Mit 75 Jahren falle es ihm zunehmend schwer, die Stolpersteine zu verlegen, erklärte Pfarrer Markus Trautmann. Aber Demnig habe dafür Sorge getragen, dass der neue Stolperstein für den Dülmener Isidor Davidson „auf der Überholspur“ in einem Atelier in Berlin gefertigt wurde. So konnte der um die Todesdaten Isidor Davidsons aktualisierte neue Stolperstein gestern Mittag, begleitet vom Mittagsgeläut der Kirche St. Viktor, an der Lüdinghauser Straße 15 verlegt werden - im Beisein von Isidors Enkel Dr. Hans Davidson.

Jonathan Nottbeck übernahm die Verlegung der Stolpersteine - dem golden glänzenden neuen Stein von Isidor und den fünf weiteren Steinen der Familienmitglieder. Diese hatten für die Neuverlegung ebenfalls aus dem Pflaster herausgenommen werden müssen. Der junge Garten- und Landschaftsbauer arbeitete nicht nur zügig und routiniert, sondern auch mit Gefühl. War er doch Schüler der Hermann-Leeser-Schule gewesen, die das Projekt Stolpersteine von Gunter Demnig in Dülmen etabliert und die Patenschaft für die Stolpersteine übernommen hat. Die Steine erinnern an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Dülmen.

Als Schüler in der Klasse von Dr. Andrea Peine war Nottbeck zudem immer besonders nah am Thema gewesen. Andrea Peine war es auch gewesen, die das Schicksal von Isidor Davidson aufklären konnte (DZ berichtete). So war er nicht wie lange angenommen nach seiner Flucht in die Niederlande deportiert und ermordet worden, sondern 1939 bei einem Verkehrsunfall in Zwolle ums Leben gekommen. Die Lehrerin war mit ihrer Kollegin Gerda Küper und begleitet von Schülern bei der Neuverlegung dabei - ebenso wie Vertreter aus Kirche und Politik, Heimatfreunden sowie interessierten Dülmenern.

Nachdem die sechs Steine wieder in das Pflaster eingefügt waren, legten Schüler dort sechs weiße Rosen nieder. Auch Joost Becker, der Sohn von Helga Becker-Leeser, war bei der Zeremonie dabei. An den Stolpersteinen der Familie Leeser, ebenfalls auf der Lüdinghauser Straße, legte ein Schüler eine weiße Rose nieder - genau wie an den Stolpersteinen der Familie Salomon. Berta Davidson, Ehefrau von Isidor, war eine geborene Salomon.

Nach der Neuverlegung der Steine versammelten sich die Teilnehmer zu einer kleinen Gedenkstunde auf dem Kirchplatz. Hans Davidson, der mit seiner Frau in den USA lebt, aber nun aus Zwolle gekommen war, wo die Familie einen Wohnsitz hat, beantwortete Fragen der Schüler. Ob er noch etwas von seinem Großvater habe, wollte eine Schülerin wissen. Ja, Fotos, sagte Davidson. Es sei schön, sie berühren zu können: „Das bringt mich der Familie und der Vergangenheit nahe.“

 

Bericht der Dülmener Zeitung, Bericht und Fotos: Claudia Marcy
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Stolperstein
 

Christiane Daldrup über belastende Recherchen und wichtige Erinnerungsarbeit 

Lüdinghauser Straße 15 - das war einst die Adresse der Familie Davidson in Dülmen. Hier erinnern heute Stolpersteine an das jüdische Ehepaar Isidor und Berta sowie ihre Kinder. Heute Mittag um 12 Uhr wird hier einer der Stolpersteine ausgetauscht. Nämlich der von Vater Isidor, zu dessen Schicksal neue Erkenntnisse vorliegen (DZ berichtete). Darüber sowie über ihre Recherchen und Kontakte zu Nachkommen Dülmener Juden sprach DZ-Redakteurin Kristina Kerstan mit Christiane Daldrup.

Frau Daldrup, heute wird für Isidor Davidson ein neuer Stolperstein verlegt. Wie ist es dazu gekommen, dass der alte Stolperstein ausgetauscht werden muss?
Christiane Daldrup: Zur Zeit arbeite ich mit einem kleinen Team, bestehend aus Dr. Andrea Peine, Dr. Stefan Sudmann, Pfarrer Markus Trautmann und mir, an einer Publikation zu Dülmener NS-Opfern. Die Recherche zu den einzelnen Familien haben wir untereinander aufgeteilt. Frau Peine hat dabei unter anderem über die Familie Davidson recherchiert. Dabei hat sie herausgefunden, dass Isidor Davidson im Dezember 1939 mit dem Motorrad tödlich verunglückte. Bislang sind wir davon ausgegangen, und so steht es ja auch auf dem bisherigen Stolperstein, dass Isidor nach seiner Flucht nach Holland deportiert und ermordet wurde.

Wie ist der Kontakt zu dem Enkel Hans Davidson denn zustande gekommen?
Daldrup:  Auf einer niederländischen Internetseite sind wir auf einige Fotos der Familie Davidson gestoßen. Über die Bildnutzungsanfrage konnte ich Ende Februar über mehrere Ecken per Mail Kontakt zu Hans Davidson, einem Enkel von Isidor, aufnehmen, der mit seiner Frau in Kalifornien lebt. Zwolle ist der zweite Wohnsitz des Ehepaares. Dort verweilen sie nun seit Anfang April für einige Monate. Herr Davidson hat in einer seiner Mails ein Treffen in Dülmen vorgeschlagen.

Und wie ging es mit dem Rest der Familie Davidson nach der Flucht in die Niederlande weiter?
Daldrup:  Als das Leben für die Familie in Dülmen unerträglich und lebensbedrohlich wurde, zogen die Davidsons im November 1937 (Martha und Hermann bereits 1933) nach Zwolle, die Heimatstadt von Familienvater Isidor. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht 1940 konnten die Geschwister Adolf und Martha untertauchen. Mutter Berta, ihre Söhne Hermann und Walter wurden in Westerbork interniert und von dort deportiert. Bertha wurde in Sobibor und Hermann und Walter in Auschwitz ermordet. Das ist nur eine kurze Zusammenfassung. Die gesamte Geschichte der Familie wird Hans Davidson in seinem Vortrag erzählen.

Nach Regina Bendix ist es nun das zweite Mal, dass Angaben auf Stolpersteine nach Recherchen korrigiert werden müssen, auch zum Schicksal von Louis Pins gab es bereits 2020 neue Erkenntnisse. Gibt es einen besonderen Grund, warum gerade jetzt immer wieder Neues auftaucht?
Daldrup: Nun ja, die Rechercheergebnisse sind nicht allein mein Verdienst. Wir arbeiten als Team. Viele Akten sind erst seit einigen Jahren für die Öffentlichkeit einsehbar. Hinzu kommt natürlich die weltweite Vernetzung durch das Internet. Die Archive, allen voran das Arolsen-Archiv, verfügen über umfangreiche Bestände, die online einsehbar sind. Manchmal können auch Kontakte zu Synagogengemeinden hilfreich sein. So konnte zum Beispiel sicher geklärt werden, dass David Dublon nicht wie bisher angenommen - beziehungsweise veröffentlicht - in Bonn-Endenich, sondern in Bonn-Castell beigesetzt wurde.

Sie stehen mit mehreren Nachkommen von jüdischen Familien aus Dülmen in Kontakt. Warum ist Ihnen das sowie Ihre Recherche zum Schicksal der Dülmener Juden so wichtig?
Daldrup: Zum einen sehe ich es als Bildungsarbeit, denn für die nachwachsenden Generationen ist die biografische Arbeit sehr wichtig und hilfreich, um eine Empathie zu den Opfern zu entwickeln und die Geschehnisse besser begreifen und einordnen zu können. Auf der anderen Seite lehrt uns die Geschichte auch, zumindest sollte sie das, wie zerbrechlich zwischenmenschliche Gefüge sein können, wenn wir nicht achtsam sind. Die Dülmener Juden waren nicht nur integriert, sondern sie waren Dülmener Bürger und Bürgerinnen, sie waren ein Teil dieser Stadt. Sie waren Nachbar, Vereinsmitglied, Kollege, Arbeitgeber, Freund usw. Die Erinnerungsarbeit weiter zu pflegen sind wir nicht nur den Opfern schuldig, sondern auch uns selbst. Wir können nur aus der Vergangenheit lernen, wenn wir sie vergegenwärtigen. Ich freue mich über den regen Mailaustausch unter anderem mit Mark Bendix, Ruth K. oder jetzt aktuell auch mit Hans Davidson. Gerade jetzt zu den Feiertagen war es schön, dass wir uns gegenseitig zu Ostern beziehungsweise zum Pessahfest Grüße ausgetauscht haben. Knapp vier Jahrhunderte lang wurde das Fest von Juden und Christen hier in Dülmen parallel gefeiert. Mir und dem Team ist aber wichtig, dass die Kontakte nicht nur mein „privates Ding“ bleiben, sondern, dass sie auch durch die weiterführenden Schulen gepflegt werden. Deswegen wurden jetzt auch alle Schulen angeschrieben und zu dem Vortrag eingeladen.

Belasten Ihre Recherchen zu den Schicksalen der Dülmener Juden Sie manchmal auch?
Daldrup:  Ja. Aus vielerlei Hinsicht. Ein Beispiel: Die Verschlagwortung im Arolsen-Archiv ist noch nicht ganz abgeschlossen. Daher habe ich mir die Deportationslisten nach und nach angesehen. Diese scheinbar nicht enden wollende Liste von Namen hat mich sehr betroffen gemacht. Auch, dass hinter diesen vielen erhalten gebliebenen Dokumenten ein funktionierender bürokratischer Apparat stand, ist eine erschreckende Erkenntnis. Belastend finde ich es aber auch, dass ich nicht selten auf Unverständnis stoße. Da hört man dann den Satz „Es muss doch irgendwann mal gut sein“. In der Tat finde ich diese Einstellung sehr verstörend. Gerade weil ich merke, wie belastend die Familiengeschichte für die Nachkommen der Dülmener Juden ist.

 

Bericht der Dülmener Zeitung, Bericht: Kristina Kersta; Fotos: Lef E. Rosentreter; Archiv Hans Davidson
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Mit eindrucksvollen Worten zitierte der Dülmener evangelische Pfarrer Gerd Oevermann in seiner diesjährigen Ansprache zum Abschluss der traditionellen Pestprozession am Ostermorgen (9. April) den jüdischen Religionsphilosophen Schalom Ben-Chorin (1913-1999): „Wer Frieden sucht, wird den andern suchen, wird Zuhören lernen, wird das Vergeben üben, wird das Verdammen aufgeben, wird vorgefasste Meinungen zurücklassen, wird das Wagnis eingehen, wird an die Änderung der Menschen glauben, wird Hoffnung wecken, wird dem andern entgegengehen, wird zu seiner Schuld stehen, wird geduldig dranbleiben, wird selber von Gottes Friede leben. – Suchen wir den Frieden!“ – Die Dülmener Pestprozession erinnert an das Jahr 1382, als die Pest große Teile der Dülmener Bevölkerung, darunter die gesamte Geistlichkeit, hinweggerafft hatte. Damals improvisierte der Bürgermeister einen Umgang durch Dülmen, bei dem er selbst ein Kreuz vorantrug, gefolgt von einigen Bürgern mit Schellen und Gesängen. Bis heute folgt das jeweilige Dülmener Stadtoberhaupt diesem überlieferten Brauch.  

Am Mittwoch der Karwoche erreichte ein handliches, aber relativ schweres Päckchen Dülmen, das vom Berliner Kunst- und Schmuckatelier „Aleksandra Koneva & Michael Friedrich-Friedländer“ auf den Weg gebracht worden war. Der Inhalt: ein überarbeiteter, also neuer Stolperstein für den jüdischen Viehhändler Isidor Davidson. Bereits 2007 waren der Familie Davidson, die 1937 Dülmen in die Niederladen verließ, insgesamt sechs Stolpersteine gewidmet worden, nämlich an der Lüdinghauser Straße 15, auf dem Bürgersteig. Jüngste Recherchen haben ergeben, dass Isidor Davidson, Jahrgang 1879, nicht während der deutschen Besatzung der Niederlande in ein Vernichtungslager im Osten deportiert wurde, sondern bereits Ende 1939 im niederländischen Zwolle durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam. – Am 18. April wird der neue Stolperstein mit korrekter Inschrift um 12.00 Uhr in Gegenwart des Enkels Hans Davidson neu verlegt. Alle Interessierten sind herzlich willkommen. – Über einen Link kann man sich über die Herstellung von Stolpersteinen informieren: http://www.aleksandra-koneva.com/html_de/stolpersteine_de.html

 

Tabernakel in Heilig Kreuz

Kritik an den Oberammergauer Passionsspielen: In seiner diesjährigen Gründonnerstagspredigt >>> hat sich Pfarrer Markus Trautmann kritisch mit der Abendmahlszene während der Passionsspiele 2022 in Oberammergau auseinandergesetzt. Gerade die sogenannten Einsetzungsworte Jesu („Dies ist mein Leib“, „dies ist mein Blut“) führten zu jener Deutung des Sterbens Jesu, wie dieser selbst sie im Bezug zum jüdischen Pascha-Fest und der Schlachtung des Pascha-Lammes zum Ausdruck bringen wollte, so Trautmann. Stattdessen seien diese Passagen in Oberammergau kurzerhand aus dem Text gestrichen worden. Allerdings habe „auch der völlig unsinnig auf dem Abendmahlstisch platzierte Siebenarmige Leuchter beim Oberammergauer Spektakel“ nicht darüber hinweggetäuscht, „dass hier das Herzstück der ganzen Passion, ja der ganzen Menschwerdung Jesu ignoriert und verleugnet wurde“, meinte Trautmann. Denn das Selbstverständnis Jesu als das endgültige Pascha-Lamm sei nur im Kontext der jüdischen Erinnerung an die Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens nachzuvollziehen. „Dagegen leisten sich die Oberammergauer Passionsspiele, die nicht müde werden die Nähe zum Judentum zu behaupten, eine beispiellose Arroganz und Ignoranz gegenüber der jüdischen Identität und der zutiefst persönlichen Selbstbestimmtheit des Juden Jesus.“

 

Fotos: Abendmahlszene auf dem Tabernakel in der Kirche Heilig Kreuz; Abendmahlszene in dem Kirchenfenster der Kirche St. Agatha

Christen und Juden feiern in diesen Tagen ihre höchsten Feste. Das jüdische Pessah-Fest geht vom 5. bis 13. April, beginnend mit dem Sederabend am Mittwoch. Für die Christen ist es die Heilige Woche von Palmsonntag, 2. April, bis Ostern, 9. April.

So erinnern wir besonders daran, dass knapp vier Jahrhunderte lang Christen und Juden in unserer Stadt das Fest der ungesäuerten Brote um den ersten Frühlings-Vollmond herum parallel feierten. 

Es ist ein schönes Zeichen der Verbundenheit im Glauben, dass wir mit den uns bekannten Nachfahren der Dülmener Juden Grüße zum Oster- und Pessahfest ausgetauscht haben.

 

StViktor

Auf jüdische Spuren
in Dülmener Haushalten

„Da sagte Jesus zu ihnen: Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.“ (vgl. Mt 13,52) Fast jeder Mensch sammelt irgendwas – mehr oder weniger bewusst. Zumindest haben wir alle schon einmal irgendein Andenken aufbewahrt und halten es in Ehren. Im Folgenden werden zehn Dülmener Personen vorgestellt, die uns einen kleinen „Schatz“ aus dem Heiligen Land bzw. aus dem Judentum vorstellen. 

Mesusa

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König David

Psalm 77,6

 

Ich sinne nach über die Tage von einst,
ich will denken an längst vergangene Jahre.