Ein Projekt der
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Der Tief- und Hochbau 
wird gefördert durch
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Archiv 2023

In einer Leserzuschrift >>> in der Dülmener Zeitung vom 1. April 2023 hat sich der Pädagoge Justin Maasmann dafür ausgesprochen, im Sinne einer historisch-politischen Bildungsarbeit unmittelbare Zugänge zu Relikten aus dem Krieg bzw. dem „Dritten Reich“ zu ermöglichen. „Ich weiß, dass originale Begegnungen, ob das Begehen eines U-Bootes oder das Sichten der Schießvorrichtungen eines Kampflugzeuges, ganze eigene Wirkungen erzeugen“, betont der Merfelder Heimatforscher und langjährige Sonderschullehrer. Maasmann erinnert auch an Schülerbegegnungen mit überlebenden KZ-Häftlingen, wie etwa dem früheren Merfelder Pfarrer Johannes Sonnenschein. – Unser Foto zeigt ein musikalisches Duo vor den Überresten einer Fliegerbombe während des offiziellen Gedenkaktes zum Volkstrauertag am 12. November 2022 in der Dülmener Viktorkirche. Das zweite Bild zeigt Kirchenmusiker Christoph Falley am Palmsonntag 2023.

Foto Gedenkveranstaltung: Dülmener Zeitung/Claudia Marcy

Heute vor 90 Jahren, am 1. April 1933 um 10 Uhr, begann der landesweite Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte. „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“, „Juden raus!“ diese und ähnliche Parolen las man auf Schildern, auf Schaufenster war der Davidstern in gelb und schwarz gepinselt. SA-Männer positionierten sich vor Einzelhandelsgeschäften und Kaufhäusern und hinderten Kunden daran, diese zu betreten; gleiches galt für Arztpraxen und Kanzleien. Oft kam es zu Gewalttaten gegen Juden und ihr Eigentum, wobei die Polizei selten eingriff. Organisiert wurde die antisemitische Kampagne vom „Zentral-Komitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“. Durch diese Aktion wird erstmalig deutlich, dass die Nazis Juden aus dem Leben ausschließen wollten.

Schon einen Tag zuvor, am 31. März 1933, konnte man in der Dülmener Zeitung lesen, dass vor dem Kaufhaus Eichengrün ein Plakat hing: „Es haben sich im Laufe des gestrigen Nachmittags viele Neugierige eingefunden, die die Anschrift bestaunten.“ „Deutsche! Kauft nicht bei Juden!“ stand auf Spruchbändern. Die gleichen Banner fanden sich auch bei den Metzgereien Salomon und Davidson.

„Allerdings stellt sich die Frage, was man nun tun soll: Alles wegpacken, was traumatische Erinnerungen auslösen kann?“ Mit dieser Frage äußert sich der Dülmener Friedensfreund Dr. Michael Stiels-Glenn in einer DZ-Zuschrift am 31. März 2023 zu Überlegungen, Relikte des Krieges der Nachwelt zu erhalten bzw. in Dülmen öffentlich zugänglich zu machen. Er plädiert dafür, die Schrecken der Vergangenheit nicht auszublenden. „Das Bronzerelief neben dem Löwendenkmal, das ja das zerbombte Dülmen zeigt? Den Oscar-gekrönten Film ‚Im Westen nichts Neues‘ nicht mehr zeigen?“, fragt Stiels-Glenn. Man könne nicht alles Verstörende aus dem Weg räumen. „Das Wichtigste – übrigens auch für traumatisierte Menschen – ist das Gefühl, dass alles getan wird, um einen solchen Horror nicht noch einmal erleben zu müssen.“

In verschiedenen klassenübergreifenden Gruppen haben sich die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 der Marienschule Dülmen mit dem Menschenbild im Nationalsozialismus beschäftigt. Fazit: die Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat darin bestärkt, sich für Menschlichkeit und Demokratie einzusetzen.

Auf den Bildern sieht man ein paar Projekte. Unterschiedliche Fachbereiche waren an der Gestaltung des Tages beteiligt.

Fotos: Marienschule Dülmen

In diesen Tagen erlangte der jüdische Philosoph Walter Benjamin die Ehre, von der Dülmener Tageszeitung >>> zitiert zu werden. So konnte man am 21. März 2023 in der Berichterstattung über Dülmener Bombenfunde mit Blick auf die Bedeutung einer eindringlichen Erinnerungskultur ein prägnantes Benjamin-Zitat aus dem Jahre 1926 lesen: „Wer aber den Frieden will, der rede vom Krieg.“ Hintergrund der DZ-Reportage waren Ausführungen in einem Interview über eine nachhaltige Empathie im öffentlichen Bewusstsein, die auch die Dramatik der Kriegsnot nicht aus dem Auge verlieren dürfe. Walter Benjamin wurde 1892 in Berlin geboren und nahm sich 1940 im spanischen Exil das Leben.

Foto Zitat: MadLadyKitsune - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70340538
Foto Porträt: gemeinfrei

Stolpersteine

Seit 15 Jahren berichtet Holocaust-Zeitzeugin Eva Weyl aus Amsterdam jedes Jahr in rund 50 Schulen aus ihrem Leben und vor allem aus den drei Jahren, die sie zusammen mit ihren Eltern im Konzentrationslager Westerbork in den Niederlanden verbrachte. Dorthin zentralisierten die Nationalsozialisten in den 1940er Jahren insgesamt 107.000 Juden, Sinti und Roma und Widerstandskämpfer – bis auf 5.000 wurden alle nach und nach in die Vernichtungslager im Osten wie vor allem Auschwitz deportiert und in der Regel dort ermordet. „Weil mein Vater Deutsch sprach, holte der Lagerkommandant ihn in die Lagerverwaltung – das rettete unserer Familie das Leben“, so Eva Weyl.

„Der SS-Lagerkommandant Gemmeker, der zuvor Polizist in Düsseldorf gewesen war, war ein perfider Schreibtischmörder – 80.000 Tote gehen auf sein Konto“, charakterisiert Eva Weyl den Kommandanten. „Er ließ niemanden in Westerbork umbringen. Aber er ließ wöchentlich Lagerinsassen in die Vernichtungslager deportieren.“
Das Durchgangslager Westerbork „war wie kein anderes Konzentrationslager – es war eine trügerische Scheinwelt: Es gab drei Mal am Tag Essen – ich habe nie gehungert –, wir Kinder gingen zur Schule, und die Arbeit der Erwachsenen war geregelt. Es fanden wöchentlich Theater- und Unterhaltungsabende statt, und es gab ein Krankenhaus mit 1.900 Betten, 200 Ärzten und 2.000 Pflegekräften – es war das größte Krankenhaus der Niederlande. Es gab jüdische Polizei, einen jüdischen Bürgermeister, alles wirkte fast wie ein normales Dorf, in dem bis zu 17.000 Menschen lebten – nur dass da Stacheldraht drumherum war“, sagte Eva Weyl.
Die Unterbringung erfolgte weitgehend in Baracken. „Da war es sehr kalt, dreckig, und ganz schlimm war für mich, dass die Latrinen keine Trennwände hatten. Es gab keine Privatsphäre“, so Eva Weyl.
Die Zusammenstellung der Gruppen, die zu den Vernichtungslagern im Osten deportiert wurden, erfolgte nachts. „Die ersten beiden Male, als nachts Mitbewohner aus unserer Baracke geholt wurden, bin ich noch wach geworden. Meine Mutter beruhigte mich mit meinen sieben Jahren. Und so bin ich die nächsten Male, in denen nachts Leute aus der Baracke geholt wurden, nicht mehr wach geworden.“
Nach zehn Monaten in der Baracke kam die Familie in eine andere Unterkunft, weil Eva Weyls Vater, der bislang in dem Lager in der Landwirtschaft gearbeitet hatte, nun in die Lagerverwaltung geholt worden war. „Der Lagerkommandant wollte Deutschsprachige um sich herum“, so Eva Weyl, deren Urgroßvater in Haltern lebte. Ihre Vorfahren zogen dann nach Erkelenz und von da nach Kleve, wo die Familie das größte Kaufhaus der Umgebung baute. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, zog die Familie 25 Kilometer weiter nach Arnheim in den Niederlanden und gründete dort ein Textilgeschäft; das Kaufhaus Weyl in Kleve wurde von Kaufhof übernommen; das Kaufhaus Weyl in Erkelenz führte eine Großtante weiter.
Die Ausgrenzung der Juden durch die Nationalsozialisten veranschaulichte die überlebende Holocaust-Zeitzeugin anhand auch von Fotos – etwa von der Aufschrift auf einer Schultafel: „Der Jude ist unser größter Feine“.
„Warum hat man uns Juden diese Verfolgung angetan? Aus Neid, Intoleranz, Respektlosigkeit und Hass“, sagte Eva Weyl und stellte gegenüber den Schülerinnen und Schülern klar: „Keiner von Euren Eltern oder Großeltern ist verantwortlich für die Vergangenheit. Aber Ihr habt eine Verantwortung, dass es so etwas nicht wieder gibt! Denkt nach und hört auf Euer Herz, wenn Menschen oder Menschengruppen ausgegrenzt werden!“
Sie ermunterte ihre Zuhörerinnen und Zuhörer auch, sich näher mit dem Holocaust zu befassen: „Es gibt einen guten Film zur Wannsee-Konferenz, in der die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen wurde. Schaut Euch den Film an!“

 

Bericht und Foto von DÜLMENplus, Raimund Menninghaus
DülmenPlus

Aus dem Umfeld vom „Keller Pins“ können weitere bauliche bzw. gestalterische Maßnahmen vermeldet werden: In diesen Tagen fertigen Mitarbeiter der Münsteraner Firma GALABO eine Verschalung oberhalb der früheren Kellertreppe vom Haus Pins an. Hier wird bald eine Einstiegsluke bzw. Entlüftung des historischen Kellerraums angelegt.

Auf der Suche nach einer alten Ansichtskarte von Dülmen führte der Link bei eBay zu einem Antiquariatshändler aus Singapur. Unter dem Stichwort "Duelmen" war nur ein Treffer verzeichnet. Die als Thumbnail angezeigte Karte wirkte zunächst unscheinbar. Die vergrößerte Ansicht zeigte jedoch eine Grußkarte, die Hermann Leeser seinem Bruder Alfred zum Jahreswechsel 1899/1900 schickte:

Lieber Alfred,
herzl. Gruß und Glückwunsch zum neuen Jahr
wünscht Dir Dein
Hermann

Wahrscheinlich damals einfach nur ein Spaß unter Kindern, rührt heute über 120 Jahre später an, wenn man darum weiß, wie tragisch das Leben der beiden als Erwachsene endete. Alfred fiel 1918 in Frankreich als Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde 33 Jahre alt, Hermann wurde nach der Reichspogromnacht inhaftiert, wo er sich am 13. November 1938 die Pulsadern öffnete und daran im Alter von 48 Jahren verstarb.

Wie die Karte nach Singapur kam, ist nicht zu ermitteln. Nun befindet sie sich wieder in Dülmen in Privatbesitz.

Stolpersteine

Das Projekt "Keller Pins" entwickelt sich stetig weiter. 

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Diese oft bemühte Redewendung trifft bei der derzeit feucht-kühlen Witterung auf das gläserne Tetraeder zu, das sich seit dem Sommer über den Fundamenten des Kellers Pins zwischen der Kirche St. Viktor und dem Familienzentrum St.-Anna-Kita im einsA erhebt. Die Scheiben sind beschlagen, sodass man selbst von dem kleinen Besucherausguck (eine Nische im Zaun zur Kita St. Anna) nicht bis auf den Grund des Kellers blicken kann. Bei dem klaren, trockenen Winterwetter der vergangenen Woche war das jedoch möglich, betont Pfarrer Markus Trautmann.

Der Pfarrdechant von St. Viktor bildet zusammen mit Christiane Daldrup und Christoph Fehmer, Verwaltungsreferent von St. Viktor, das Team, das das Projekt Bodenfenster Keller Pins 2020 aus der Taufe gehoben hat und seitdem verfolgt - unterstützt von Kirchenvorstand, Zentralrendantur und vielen Förderern aus Dülmen und Umgebung. Das dreiköpfige Team hat Spenden und Fördergelder eingeworben, um den behutsam restaurierten Keller als Ort der Erinnerung zu erhalten und zu gestalten.

Derzeit wird der Bereich um das Bodenfenster gepflastert. Der Kellerabgang, der nicht unter Glas liegt, soll mit einer Betonumrandung versehen und zunächst mit einer Luke verschlossen werden. Anschließend werden Entlüftung und Beleuchtung installiert, erklärt Trautmann. Einen Eindruck, wie effektvoll die Beleuchtung aussehen kann, haben die Dülmener bereits seit der Weihnachtszeit.

Das Tetraeder wurde nach Plänen von Dr. Gerard Jentgens errichtet, erläutert Trautmann. Der Archäologe hat mit seinem Team Teile des Kellers Kirchplatz 8 freigelegt, in dem bis 1938 die jüdische Familie Pins lebte. Die Firma Mirotec aus Wettringen setzte die Tetraeder Pläne um, für die Tiefbauarbeiten war die Billerbecker Firma Menke zuständig, zählt der Pfarrer auf.

Spenden- und Fördergelder reichen aus, um das Projekt zu einem Abschluss zu bringen, sagt der Pfarrdechant. Aber es gebe noch viele weitere Pläne und Ideen. Sehr schön wäre es etwa, wenn man einen Touchscreen anbringen könnte, in dem die Geschichte des Hauses elektronisch erzählt wird. Auch überlege man noch, zu welchen Anlässen oder Terminen im Jahresverlauf der Keller Pins als Erinnerungsort und Ort des Lernens in Erscheinung treten kann. Der Keller Pins sei, so macht Trautmann deutlich, kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess.

Das Bodenfenster liegt auf dem Gelände des Familienzentrums St. Anna und damit mitten im Leben. „Schon bald werden die provisorischen Bauzaunelemente beseitigt, sodass die Kinder von St. Anna den Keller Pins von allen Seiten bespielen können“, heißt es auf der Internetseite der Gemeinde, in der regelmäßig über die Fortschritte bei dem Projekt berichtet wird.

 

Bericht der Dülmener Zeitung, Claudia Marcy
DZ Icon

Bauarbeiten

… so lautet ein altes Kinderlied. Fleißige Mitarbeiter der Landschaftsbaufirma GALABO aus Münster sind in diesen Tagen damit beschäftigt, den Außenbereich der Kindertagesstätte St. Anna weiter zu gestalten. Das archäologische Bodenfenster „Keller Pins“ wird nun fachgerecht in die Pflasterung bzw. in die umgebende Entwässerung eingebunden. Der Einstiegsbereich wird mit einer Betonrahmung eingefasst, die demnächst die eigentliche aufklappbare Luke tragen wird. Ferner folgt bald die Anpflanzung einer Hecke. Schon bald werden die provisorischen Bauzaunelemente beseitigt, so dass die Kinder von St. Anna den „Keller Pins“ von allen Seiten „bespielen“ können.

Fotos: Maja Rohkemper

StViktor

Auf jüdische Spuren
in Dülmener Haushalten

„Da sagte Jesus zu ihnen: Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.“ (vgl. Mt 13,52) Fast jeder Mensch sammelt irgendwas – mehr oder weniger bewusst. Zumindest haben wir alle schon einmal irgendein Andenken aufbewahrt und halten es in Ehren. Im Folgenden werden zehn Dülmener Personen vorgestellt, die uns einen kleinen „Schatz“ aus dem Heiligen Land bzw. aus dem Judentum vorstellen. 

Synagoge

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Carsten Hövekamp

Carsten Hövekamp

Bürgermeister von Dülmen

Dank der großen Unterstützung aus der Bürgerschaft ist es gelungen, dass dieser besondere Erinnerungsort in Dülmen entstehen kann. Das Archäologische Fenster wird einen Einblick in das Leben und das Schicksal der Familie Pins geben und so dazu beitragen, einen Teil der jüdischen Geschichte Dülmens sichtbar und für alle Generationen erlebbar zu machen. Mein herzlicher Dank geht an alle, die dies durch ihr Engagement und ihre Spenden möglich machen.